Medizinnobelpreis 1905: Robert Koch

Medizinnobelpreis 1905: Robert Koch
Medizinnobelpreis 1905: Robert Koch
 
Der deutsche Bakteriologe erhielt den Nobelpreis für seine Arbeiten über die Tuberkulose.
 
 
Robert Koch, * Clausthal 11. 12. 1843, ✝ Baden-Baden 27. 5. 1910; 1872 Kreisarzt in Wollstein (heute Wolsztyn, Woiwodschaft Posen), seit 1880 Leiter des bakteriologischen Labors am Reichsgesundheitsamt, ab 1885 Direktor des Hygieneinstituts der Berliner Universität, seit 1891 Direktor des Instituts für Infektionskrankheiten; identifizierte u. a. den Milzbrandbazillus, das Tuberkulosebakterium und den Choleraerreger.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Am 24.März 1882 berichtete Robert Koch in der Berliner Physiologischen Gesellschaft, den Tuberkelbazillus als Erreger der Tuberkulose identifiziert zu haben. Das heutzutage als Mycobacterium tuberculosis bekannte Bakterium war nicht nur einer der ersten nachgewiesenen bakteriellen Krankheitserreger überhaupt, sondern zugleich der Erreger der quantitativ gesehen gefährlichsten Infektionskrankheit in jener Zeit. Die bakteriologische Hygiene, eine seinerzeit noch junge Disziplin, und ihr prominentester Vertreter wurden damit über Nacht berühmt.
 
 Neue Methoden zur Untersuchung von Bakterien
 
Der Nachweis, dass Bakterien Krankheiten verursachen, beruhte auf der Anwendung von einer Reihe seinerzeit neuer Konzepte und Methoden, die Koch und seine Mitarbeiter in den Jahren zuvor entwickelt hatten. Auf biologisch-theoretischer Ebene arbeitete man vor allem im Anschluss an den Breslauer Botaniker Ferdinand Julius Cohn (1828-98), der die unterschiedlichen Formen von Bakterien seit den 1860er-Jahren als konstante biologische Arten definiert hatte. Neben der äußeren Form ließen sich so auch Lebensäußerungen wie die Erzeugung von Krankheiten als konstante Eigenschaften solcher Spezies auffassen. Zunächst auf sich gestellt, ab 1880 dann als Leiter einer Arbeitsgruppe am Reichsgesundheitsamt, entwickelte oder verbesserte Koch in den Jahren vor der Entdeckung des Tuberkelbakteriums eine ganze Reihe experimenteller Techniken und Methoden. Er und seine Mitarbeiter schufen damit wichtige Grundlagen der modernen Bakteriologie.
 
So ermöglichten feste Nährböden auf der Basis von Gelatine, gekochten Kartoffeln oder Agar-Agar eine bessere Untersuchung der Lebenszyklen von Bakterien im Labor. Die Beobachtung unter dem Mikroskop, die Isolierung von Bakterien einer Spezies und ihre Züchtung in Reinkulturen war mit den vorher verwendeten flüssigen Nährmedien, etwa Fleischbrühe, kaum durchführbar. Neben einer verbesserten Mikroskoptechnik erwiesen sich die seinerzeit neuen synthetischen Teerfarben (Anilinfarben) als sehr nützlich: Einige von ihnen, zum Beispiel Methylviolett, färben nur Bakterienzellen. Der Einsatz solcher Farbstoffe ermöglichte es also, unter dem Mikroskop Bakterien von körpereigenen Zellen besser zu unterscheiden. Außerdem konnten damit verschiedene Bakterienspezies besser von einander abgegrenzt werden. Der Einsatz industriell produzierter, synthetischer Farbstoffe erleichterte schließlich den Vergleich der Ergebnisse verschiedener Forschergruppen, die jetzt auf einer gemeinsamen technologischen Basis arbeiten konnten.
 
Die von Koch entwickelte Mikrofotografie der Bakterien baute auf der Färbung auf und half, die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Arbeit im für die Zeitgenossen objektiven Medium der Fotografie wiederzugeben. Außerdem machte sie die Ergebnisse der Arbeit leichter kommunizierbar, indem sie einzelne mikroskopische Präparate durch beliebig reproduzierbare Fotografien ersetzte.
 
Eine enorme Bedeutung kam schließlich dem Tierexperiment etwa mit Mäusen oder Meerschweinchen zu: Hier wurden durch Infektionsversuche die krank machenden Eigenschaften der identifizierten Organismen nachgewiesen. Im Falle der Tuberkulose musste Koch eigens ein neuartiges Kulturmedium aus verfestigtem Blutserum entwickeln, um das Bakterium züchten zu können. Hinzu kam noch ein spezielles Färbeverfahren, mit dem die sonst im Gewebe kaum aufzufindenden Bakterien sichtbar gemacht wurden. Auch wenn sich die Tuberkelbakterien nicht fotografieren ließen, so gelang es Koch doch, sie zunächst im Körper aufzufinden, außerhalb des Körpers in Reinkulturen zu züchten und schließlich mit ihrer Hilfe im Tierexperiment Tuberkulose zu erzeugen. Damit wurde der wissenschaftliche Beleg der älteren These geliefert, dass die Tuberkulose eine ansteckende und übertragbare Krankheit sei.
 
 Gezielte Hygienemaßnahmen gegen die Tuberkulose
 
Die Folgen der Entdeckung waren einschneidend: Nun war es möglich, die Krankheit bakteriologisch zu diagnostizieren und präzise zu definieren. Aus einer Gruppe tuberkulöser Erkrankungen und Prozesse, zum Beispiel der Lunge oder der Haut, wurde nun eine Krankheit, und die so genannte käsige Pneumonie der Lungen ließ sich als tuberkulös bestimmen und mittels bakteriologischer Diagnose von der Lungenentzündung abgrenzen.
 
»In Zukunft wird man es [...] nicht mehr mit einem unbestimmten Etwas, sondern mit einem fassbaren Parasiten zu tun haben«, formulierte Koch 1882 und erwartete, wie auch die meisten seiner Zeitgenossen, einen erheblichen praktischen Nutzen von der Entdeckung. Dieser blieb allerdings begrenzt: Er bestand im Wesentlichen in verbesserten Maßnahmen der Prävention, die auf dem Wissen über die hauptsächliche Verbreitung der Lungentuberkulose durch Tröpfcheninfektion beruhten. Dass allerdings die auch von Koch selbst favorisierte Isolierung von Personen, die an offener Lungentuberkulose litten, in größerem Umfang zum Rückgang der Krankheit am Ende des 19. Jahrhunderts beigetragen hat, ist unwahrscheinlich. Wichtiger dürften wohl die allgemeinen, nicht auf die Tuberkulose beschränkten, hygienischen Maßregeln gewesen sein, die sich aus der neuen Wissenschaft ergaben: Desinfektion, bakteriologische Tests des Trinkwassers und Ähnliches mehr wurden im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts selbstverständlich und sind es bis heute.
 
 Kochs vergebliche Suche nach einem Heilmittel gegen die Tuberkulose
 
Kochs spätere wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Tuberkulose waren weniger glücklich als die Anfänge. 1890 präsentierte er ein Heilmittel gegen Tuberkulose, das Tuberkulin, welches sich schnell als therapeutisch wirkungslos erwies. Den diagnostischen Wert der Tuberkulinreaktion zur Diagnose einer möglicherweise lange zurückliegenden Primärinfektion mit Tuberkulose erkannte Koch nicht. 1902 postulierte Koch schließlich die Nichtidentität von Tuberkulose des Rindes und der Menschen. Damit ließ er sich auf eine Frage ein, die mit dem bakteriologischen Instrumentarium seiner Zeit nicht zu beantworten war und entsprechend umstritten blieb. Die Identifizierung des Tuberkelbakteriums als Erreger der Tuberkulose bleibt trotzdem eine singuläre wissenschaftliche Leistung. Sie ist im Zusammenhang mit den methodischen und technologischen Grundlagen der modernen Bakteriologie zu sehen, die Robert Koch und seine Schüler im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts schufen.
 
C. Gradmann

Universal-Lexikon. 2012.

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